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Anzeigepflichtverletzung: bipolare affektive Störung im Anfangsstadium nicht erkennbar

Anzeigepflichtverletzung: bipolare affektive Störung im Anfangsstadium nicht erkennbar

Rechtsprechung
Lebensversicherung

Anzeigepflichtverletzung: bipolare affektive Störung im Anfangsstadium nicht erkennbar

BV.2019.00082

I. Ausgangslage

Der Kläger schloss kurz nach Abschluss seiner Ausbildung im Jahr 1994 eine Vorsorgeversicherung der Säule 3a ab. Diese sah u.a. Rentenleistungen bei Erwerbsunfähigkeit vor. Beim Vertragsabschluss verneinte der damals 23-Jährige das Bestehen von Gesundheitsstörungen, Unfallfolgen, Anomalien oder Gebrechen.

2000 suchte er infolge psychischer Beschwerden erstmals einen Psychiater auf. 2011 erfolgte eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung. Die involvierten Fachärztinnen diagnostizierten eine bipolare affektive Störung. Die Invalidenversicherung sprach dem Kläger in der Folge eine Rente zu.

Das Versicherungsunternehmen machte dagegen eine Anzeigepflichtverletzung geltend und lehnte Leistungen aus der 3a-Police ab. Gemäss Angaben des früher behandelnden Psychiaters habe die psychische Störung bereits seit dem 18. Lebensjahr und somit vor Abschluss des Versicherungsvertrages bestanden. Dass die Diagnose erst nach Vertragsabschluss gestellt wurde, sei nicht massgeblich.

Nachdem sich die Parteien aussergerichtlich nicht einigen konnten erhob der Versicherte Klage am Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich.

II. Erwägungen

Nachdem der Kläger erstmals am 29. April 2000 in fachärztlicher Behandlung gestanden hat, liegen für den Zeitraum Oktober/November 1994 keine echtzeitlichen ärztlichen Berichte vor. Irrelevant ist die Frage, zu welchem Zeitpunkt bei einer rückwirkenden Betrachtung die Erkrankung eingetreten ist. Massgebend ist allein, was der Kläger im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses hätte erkennen müssen. Die aktuell behandelnde Psychiaterin legte schlüssig dar, dass die bipolare Erkrankung im Anfangsstadium schwer zu erkennen, aber im Nachhinein einfach einzuordnen ist. Patienten mit einer bipolaren Erkrankung würden sich anfangs nicht krank fühlen, sondern hätten Schwankungen im Befinden, mal schlechtere, mal bessere Tage. Es sei anfangs oft noch keine Krankheitseinsicht da, zumal die Erkrankung phasenweise verlaufe und sich die Phasen erst im weiteren zeitlichen Verlauf verstärken und immer sichtbarer würden (Hinweis auf E. 3.7). Dies wird durch die Tatsache bestätigt, dass sich der Kläger erst mehr als fünf Jahre nach dem Vertragsabschluss in fachärztliche Behandlung begeben hat.

Weiter weist sie zutreffend daraufhin, dass die Angaben des früher behandelnden Psychiaters unbegründet und nicht nachvollziehbar sind. Es ist auch bei seiner Einschätzung einer Arbeitsunfähigkeit ab 1994 unklar, von welchen echtzeitlichen Angaben er ausging, zumal keine echtzeitlichen ärztlichen Unterlagen zu 1994 vorhanden sind. Für die Beurteilung der allein massgebenden Frage, was der Kläger 1994 bezüglich der später diagnostizierten psychischen Erkrankung hätte wissen können, ist dem Bericht nichts zu entnehmen (E. 4.1).

Auch bezüglich der Arbeitsfähigkeit im November 1994 – welche allenfalls ein Indiz für das Vorliegen einer anzeigepflichtigen Erkrankung hätte sein können – liegt keine echtzeitlich attestierte Arbeitsunfähigkeit aus psychischen Gründen vor. Der Umstand, dass der Kläger nur in Teilzeit arbeitete, lässt keinen Schluss auf eine Arbeitsunfähigkeit zu. So absolvierte er neben seiner Teilzeittätigkeit eine Weiterbildung und kann ohne echtzeitliche medizinische Unterlagen nicht auf eine Teilzeittätigkeit aus gesundheitlichen Gründen geschlossen werden. Zum einen kann bei einer Weiterbildung der genaue zeitliche Aufwand nicht exakt bestimmt werden, zum andern gibt es gerade auch in einer Phase der beruflichen Veränderung auch nicht-krankheitsbedingte Gründe für eine Teilzeitarbeit. Auch aus der weiteren Entwicklung der Arbeitsfähigkeit in der Zeit nach Beginn der Behandlung kann nicht auf eine wesentliche Arbeitsunfähigkeit für die Zeit im Herbst 1994 geschlossen werden. Der Kläger war trotz einer Verschlechterung der gesundheitlichen Situation bis Juli 2009 in der Lage, ein 80%-Pensum zu absolvieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger im November 1994 grundsätzlich von einer vollständigen Arbeitsfähigkeit seinerseits ausgehen durfte (E. 4.2).

Zuletzt ist bezüglich der einleitenden Fragen «Bestehen bei Ihnen Gesundheitsstörungen, Unfallfolgen, Anomalien, Gebrechen?» sowie «Ist Ihre Arbeitsfähigkeit eingeschränkt?» anzumerken, dass diese sehr offen gehalten sind. Eine Anzeigepflichtverletzung könnte dabei nur sehr zurückhaltend angenommen werden (E. 4.3).

In einer Würdigung der vorliegenden Umstände kann dem Kläger keine Verletzung der Anzeigepflicht vorgeworfen werden (E. 4.4).

iusNet HVR 31.1.2023